Der erste Schultag geht seinen gewohnten Gang. Unsere Schüler sind mit ihren Gastschülern im Unterricht und über das gesamte Gebäude verteilt. In der einen oder anderen Stunde taucht einer der Schüler im Deutschunterricht auf. (So nebenbei: Bezugnehmend auf die „kritische Anmerkung“ der ausschließlichen Verwendung der männlichen Form. Selbstverständlich haben wir Mädchen mit dabei! Sieben um genau zu sein, was der Hälfte der Gruppe entspricht. Selbstverständlich schließt die Verwendung des Wortes „Schüler“ auch die weiblichen Mitglieder unserer Reisegruppe mit ein ;-).
Der Kollege und ich verbringen den Tag im Deutschunterricht und geben mehrfach den „Native Speaker“, stellen uns vor, zählen die Zahlen 1-20 vor, nennen unsere Geburtstage. Bei einer dieser Vorstellungen mit Geburtstagen komme ich ins Grübeln. Der Kollege hat doch gar nicht im Februar Geburtstag, das er den Schülern etwas vom 30. Februar erzählt hat, ist mir im ersten Augenblick gar nicht aufgefallen. Diejenige die es erkannt hat, bekommt zur Belohnung ein wenig „German Candy“ aus der Maoam-Mix-Tüte die ich mitgebracht habe. (So nebenbei: Ich musste die Tüte schon vorher öffnen, weil der Kollege ein wenig gegeiert hat.)
Im Laufe des Tages sehen wir Schüler, die wir vor zwei Jahren schon als Schüler in Deutsch 1 gesehen haben. Interessant sie wiederzusehen und sie erkennen uns sogar noch.
Am Abend haben wir im Maribel Sportsmens Club das Potluck Supper. Potluck Supper bedeutet so viel wie jeder bringt was mit und vielleicht hat man Glück und in einem der Töpfe ist etwas was man mag, Potluck (Topf-Glück) halt. Für uns ist das Potluck die Gelegenheit uns bei den Gastfamilien vorzustellen und diese ein wenig kennenzulernen, ein geselliges Beisammensein mit Essen und netten Menschen. Eine Gastfamilie erkenne ich wieder, sie haben vor zwei Jahren schon einmal gehostet und sind wieder mit dabei, sehr sympathisch. Sowohl die Familie, als auch die Tatsache, dass sie ein zweites Mal einen deutschen Austauschschüler aufnehmen.
Der nächste Tag ist für die Unseren ein weiterer Schultag an der Lincoln High. Wir sehen den einen oder anderen im Unterricht, führen kurze Gespräche mit Schülern, erkundigen uns nach Wohlbefinden, Gesundheit, Gastfamilie, Schlafproblemen… (So nebenbei: Manchmal komme ich mir auf dem Austausch immer ein wenig wie eine Ersatzmama vor; zusätzlich zu den Hostmums. Auf Klassenfahrten mache ich das ja auch, aber hier ist es immer irgendwie noch ausgeprägter.) Soweit ich es überblicken kann geht es allen gut, sie fühlen sich wohl, passen sich der Zeitzone an usw. Ich bin beruhigt.
Einige Schüler sind irritiert vom Verhalten der Schüler im Unterricht. Offensichtliches Nichtstun, Handynutzung bis hin zum Filme schauen im Unterricht, Sitzen auf den Tischen, dauerhaftes Kaugummikauen und Blasen machen. O-Ton: „Wie sollen die denn was lernen, die kriegen doch garnichts mit und den Lehrern ist das scheinbar egal hier. Das läuft bei uns aber viel besser!“ Welch eine Erkenntnis aus einem Schülermund! Diese „Friss oder stirb Mentalität“ ist einer der Gründe, warum ich nicht im amerikanischen Schulsystem arbeiten könnte. Es gibt noch mehr „befremdliches“ zu entdecken: Der „Pledge of Allegiance“. Für uns Deutsche, denen über Jahrzehnte jede Form von Nationalismus ausgetrieben wurde, ist der Treueschwur gegenüber Nation und amerikanischer Flagge mehr als nur befremdlich, wenn plötzlich eine ganze Schule sich den Flaggen in den Klassenräumen zuwendet und gemeinsam den Schwur leistet mit der Hand auf dem Herzen. Hier ist es gelebter Alltag und die Flagge sowieso an jeder Ecke zu finden.
(So nebenbei: Ein wenig mehr würde uns vielleicht nicht schaden, aber wir schaffen es ja nicht einmal zum Gedenken an die Kapitulation nach dem 2. Weltkrieg zu flaggen. Ach halt, wir haben ja nicht einmal einen Fahnenmast an der Schule…)
Noch ist es kühl, wolkig und regnerisch als wir am nächsten Morgen die Unseren an der Lincoln abholen, um mit Ihnen auf den ersten „Fieldtrip“ zu gehen. Mit einem Schiff von einem Kleinbus geht es zum Sportsmens Club nach Maribel zum „Mountain Men Day“. Hierbei handelt es sich um ein Programm welches bereits mit Grundschülern durchgeführt wird und ein wenig das Leben in der Wildnis trainieren soll. Die ehrenamtlichen Helfer des Vereins haben sich zum Teil extra frei genommen, um für „The Germans“ dieses Programm anbieten zu können. Die Schüler bekommen die Möglichkeit Dinge und Sportarten auszuprobieren, welche in Deutschland so nicht möglich wären oder gar nicht angeboten werden. Leider ist es so extrem windig, dass wir auf das Entzünden eines Feuers nur mit Feuerstein und Zunder verzichten müssen, sehr schade. Aber dennoch haben die Jungs und Mädels viel Spaß an den angebotenen Aktivitäten und als die Sonne rauskommt, wird es ein noch schönerer Tag. Die wenigsten haben schon einmal mit einem Bogen geschossen, mit einer großen Säge Baumstämme gesägt oder mit dem Tomahawk auf große Baumscheiben gezielt. Schnell zeichnen sich Vorlieben und Talente für einzelne Aktivitäten aus, es entsteht ein sportlicher Wettstreit und ich muss mich bei der einen oder anderen Disziplin neidvoll vor dem einen oder anderen verneigen. (So nebenbei: Selbstverständlich habe ich mich stets bemüht sie alle besser sein zu lassen als mich 😉 Oder sie waren wirklich viel besser.)
Nicht nur die Unseren haben einen riesigen Spaß und sind kaum zu bremsen, nein auch die Helfer vom Club sind voller Begeisterung mit bei der Sache und freuen sich über unsere Freude. Viele der Helfer waren schon bei unserem ersten Mountain Men Day 2015 dabei und erinnern sich gerne, Fragen nach dem einen oder anderen Schüler von damals usw. Ein wirklicher toller Tag voller neuer Eindrücke, Erfahrungen und Erlebnisse für unsere Schüler. Nach einem gemeinsamen Mittagessen, welches meine Hostmum für uns alle zubereitet hat, hält Mutter Natur noch eine weitere Erfahrung für uns bereit: Der Kampf einer Gartenschlange mit ihrem Mittagessen, dem Frosch.
(Nicht nebenbei, sondern mit voller Aufmerksamkeit: Thank you Kay for that delicious food and taking care of us!)
Unsere Schüler hätten noch Stunden hier verbringen können, aber irgendwann muss ja alles einmal enden, so auch dieser Tag und wir bringen die Unseren zurück an die Lincoln und somit endet quasi ein weitere offizieller Tag des Austauschs und wir entlassen sie ins Wochenende.
Das Wochenende sollte ja eigentlich zur Erholung beitragen und eigentlich hat das Lehrerwochenende auch nichts in diesem Bericht zu tun, aber machen wir mal eine Ausnahme. Freitagabend 22.30Uhr eine besorgte Hostfamilie meldet sich, weil einer der Jungs nicht daheim ist. Diese Tatsache beschäftigt uns noch gut zwei Stunden, gefühlt eine weitere Stunde braucht es bis Puls und Blutdruck sich normalisieren. Er ist wohlbehalten „daheim“…
(So nebenbei: Das sind die Momente bei Klassenfahrten oder eben hier bei denen einem das Herz in die Hose rutscht).
Nach einem erholsamen Wochenende beginnt für uns eine neue Woche an der Lincoln High mit einem regulären Schultag. Die Unseren sehen wir immer mal wieder auf den Gängen durch die Schule streifen oder im Deutschunterricht, wo sie den Amerikanern unterstützend zur Seite stehen oder einfach nur anwesend sind. Der Kollege und ich sind entweder im Deutschunterricht oder sind selbst zu Gast in anderem Unterricht. Ich hospitiere beispielsweise bei Mr. Sieracki, dem einzigen Geschichtslehrer der Frühgeschichte mit einer Filmsequenz der Ghostbusters erklären kann.
Noch immer sind die Unseren von der Schule als Gebäude angetan wenn man sie trifft, aber die Räume und Korridore könnten aber auch wirklich einem amerikanischen Highschoolfilm entsprungen sein. Dass der Unterricht auch hier nicht immer spannend ist, merken sie aber auch schnell 😉
Am nächsten Morgen wartet ein großes gelbes Ungetüm an der JFK Sporthalle auf uns: Ein Schulbus. Diese gelben Ungetüme sind für uns untrennbar mit amerikanischen Schulen verbunden und stellen die Verkörperung des Schulsystems da. Der Traum einmal mit einem solchen Bus zu fahren endet spätestens nach den ersten 15 Minuten, die Sitze sind unbequem, die Federung ist nicht existent und für jeden über 170cm Körpergröße ist eigentlich kein Platz. Egal, wir machen uns auf den Weg nach Madison, der Hauptstadt des Bundesstaates Wisconsin. *Zeitsprung*
Die Kuppel des Capitol taucht vor uns auf und man glaubt auf Washington zuzufahren so ähnlich sehen sich die Gebäude. Ein Regierungsgebäude ohne Sicherheitskontrolle am Eingang, 363 Tage im Jahr für Bürger und Besucher geöffnet, öffentliche Führungen sind jede Stunde und selbst Demonstrationen sind im Gebäude vollkommen normal. (So nebenbei: Wenn man versucht einen Termin im Landtag o.ä. bei uns zu bekommen, ist das inklusive Listen usw. ein echter Akt. Hier geht man einfach hin…) Wir sind angemeldet für einen Tour werden im Capitol bereits vom State Representative Paul Tittl aus dem Wahlbezirk Manitowoc erwartet. Als er von einer deutschen Austauschgruppe in seinem Wahlbezirk hörte wollte er uns unbedingt begrüßen und ein Foto mit uns machen. (So nebenbei: Es dauert keine zwei Tage und wir bekommen für jeden der Schüler einen Abzug des Bildes, siehe Fotogalerie! Sowas habe ich bei uns noch nie erlebt!) Der junge dynamische Tourguide bekommt kurzfristig Schnappatmung als Mr. Tittl uns im Senatssaal auffordert uns zu setzen, normalerweise dürfen die Tourgruppen die Stühlen nicht einmal anfassen. Der Guide fasst schnell wieder, identifiziert die unseren als Schüler, bricht dementsprechend sein Tourprogramm runter (obwohl wir auch noch zehn amerikanische Rentner mit dabei haben) und fasst sich sehr kurz. Wir bekommen also einen sehr schnellen Überblick über das enorme Gebäude, seine Geschichte und seine Architektur. Immer wieder ein sehr beeindruckendes Gebäude mit seinen Details und seiner Funktion. Während wir noch Bilder machen im Konferenzraum des Gouverneurs ist der Kollege mit dem Guide, zehn Schülern und dem Rest der Rentnergruppe verschwunden. Ich irre also mit vier Schülern und drei Rentnern durch das Capitol auf der Suche nach dem Zugang zum Observation Deck, vor, zurück, hoch, runter,… letztlich sind wir vor dem Guide und unserer Gruppe auf der Aussichtsplattform. Die Aussicht über Madison von der Kuppel des State Capitols ist immer wieder beeindruckend und wie jedes Mal hier haben wir grandioses Wetter. (So nebenbei: Sollte es mal einen Realverfilmung der Passierschein A38 Szene aus Asterix geben, das Capitol wäre mein Favorit dafür!)
Bevor wir uns auf den Heimweg machen führt uns der Weg in eine Mall zum Essen und für einen ganz kurzen Shopping Stop bevor wir uns auf den Rückweg machen. (So nebenbei: Irritierend bei einer Fahrt mit dem Schulbus ist die Tatsache, dass er an jedem Bahnübergang stoppen muss, die Tür öffnen muss und erst danach wieder anfahren darf.) *Zeitsprung*
Vor der Lincoln entlassen wir die Unseren nach einem ausgiebigen Fotoshooting mit Schulbus. Morgen wartet ein neuer spannender Tag in Wisconsin auf uns.