Wisconsin – Here we are! – Part 2

Der Donnerstag schält sich aus dem Dunkel und die Sonne klettert über die Bäume, welche sich langsam in ein Feuerwerk aus Herbstfarben verwandeln. Der Indian Summer zeigt sich immer wieder von seiner besten Seite und auch die Temperaturen sind den Tag über sehr warm. Dieser schöne Herbstmorgen, ohne das Laub-Feuerwerk würde es als Sommer durchgehen, hält unseren ersten Ausflug bereit. Unser erster Weg führt uns zur “London Dairy Alpaca Farm”, wie schon der Name sagt, eine Alpakafarm.  

Wir werden von Laura in Empfang genommen und lernen am Zaun gleich die ersten wichtigen Lektionen. Alpakas interessieren sich nur für Menschen, wenn diese potentiell Futter haben. Alpakas verrichten ihr Geschäft nur an einer Stelle der Koppel, so bleibt mehr Futter. Alpakas können jederzeit schwanger werden, also muss man sie strikt getrennt halten. Im Gegensatz zu Lamas spucken sich Alpakas nur gegenseitig an, gerät man aber da zwischen die Fronten so hat man Pech gehabt. 

Laura nimmt uns mit in die Welt der Alpakas und erläutert uns ihre Haltung und warum es hier in Wisconsin Alpakas gibt. Ihre Wolle ist das, was man hier will. Einmal jährlich werden die Tiere professionell geschoren. Der Vorgang sieht etwas hart aus, aber in 6 Minuten ist ein Alpaka durchschnittlich geschoren und die Wolle in vier Kategorien für die Verarbeitung aufgeteilt, selbstverständlich nach den 22 Farben getrennt sortiert. Die einzelnen “Haare” sind deutlich feiner als ein menschliches Haar und sooo flauschig. Beim Test der Sortierung der Haare nach der ”Feinheit” scheitern wir als Gruppe grandios, naja zumindest die die mitgemacht haben. Aber beim Alpaka füttern sind sie dann alle wieder mit dabei. Ausgestattet mit einem Frisbee in dem ”Alpaka Süßigkeiten” liegen geht es auf die Koppel. Jetzt heißt es schnell sein. Frisbee halten, sonst hauen sie die einem aus den Fingern. Handy zücken, Bilder machen und dann die flauschigen Tiere streicheln. Erwähnte ich wie flauschig sie sind? Zack aufgegessen und weg sind sie wieder.  

Wir lernen jetzt noch was Weiteres. Hunde und Alpakas mögen sich nicht. Daher hat man auf der Farm eine Gruppe Gänse (Familie? Rudel? Horde? Schopf heißt es wohl, wenn sie fliegen, aber am Boden? Bleiben wir bei “Gruppe”). Diese Gruppe unter ihrem Anführer Mike und seiner Partnerin Chealsea ersetzt mit Lärm und Angriffsfreude wohl jeden Wachhund. Wir werden nur mäßig angekeift und angeschnattert, aber auch nur, weil Laura bei uns ist. Das hält die Gänsedamen aber nicht davon ab, mit heftigem Flügelschlag den einen oder anderen Schwall Wasser aus ihrem “Pool” zu uns zu spritzen. Dann doch lieber schnell noch in den Alpaka Shop und zahlreiche lustige Bilder mit Alpakahüten und ähnlichem machen wir uns auf zum nächsten Ziel: dem Mittagessen. 

Mit dem Eintreffen unserer 14 Schüler in diesem Diner sinkt das Durchschnittsalter grob geschätzt auf 70 Jahre. Es ist einer dieser unauffälligen, aber typischen Diner in diesem Land. Trotz “breakfast all das Long” entscheiden sich unsere für Burger und Sandwiches. Außer einer Ketchup-Eskalation herrscht “gefräßige Stille”. Am anderen Ende des Tisches verdient sich jemand 5 Dollar mit dem Austrinken dieses riesigen Bechers mit dem typisch chlorigem tap water. Bei der Berechnung des Trinkgeldes bricht kurz Panik bei einzelnen aus und es werden schnelle Nachhilfestunden in Prozentrechnung erteilt. The same procedure as every exchange… 

Weiter geht es zum Rogers Street Fishing Village in Two Rivers. Dieses kleine Museum mit seinen kleinen Häusern und dem Leuchtturm hält viel über die Gegend bereit. In zwei kleinen Gruppen aufgeteilt geht es los. Meine Gruppe beginnt auf der “BUDDY O”, einem der typischen Fischerboote, mit denen der kommerzielle Fischfang auf dem Lake Michigan betrieben wurde. Nur von den Damen kann eine aufrecht im inneren des Bootes stehen. Kein Arbeitsplatz für uns.  
Weiter geht es in ein nachgebautes Wohnhaus einer durchschnittlichen Fischerfamilie um 1880. Die Andeutung über die beengten Wohnverhältnisse, den fehlenden Fernseher und die vielen Kinder geht irgendwo in der Übersetzung bei den unseren verloren.   
Eine Treppe führt uns hinauf zum letzten, voll funktionsfähigen Holzleuchttrum der USA. Viele Jahre war er die Orientierung für alle Boote an einem der gefährlichsten Punkte an der Küste des Lake Michigan, direkt vor der Küste von Two Rivers. Historische Aufnahmen zeigen, was für Eismassen ein durchschnittlicher Winter an Land und ganz schnell auf dem Wasser bringen konnte. Ein hartes Leben. Wir sehen historische Bootsmotoren, welche den kommerziellen Fischfang erst ermöglicht haben, aber auch die bis zu einer Meile langen, handgeknüpften Fischernetze.  
Über 700 registrierte Schiffswraks liegen am Grund des Lake Michigan und von einigen sehen wir Exponate die Taucher gefunden haben. Besonders beeindruckend sind die kleinen Dinge, eine verkorkte Flasche Wein, eine Flasche Ketchup, eine funktionierende Taschenuhr.  
Ganz unauffällig in einer Ecke finden sich die ältesten Exponate. Pfeilspitzen der ursprünglichen Bewohner dieser Gegend die auf ein alter von 16 000 Jahren geschätzt werden. Im zweiten Teil der Tour erfahren wir viel über die Besiedelung der Gegend, über französischsprachige Kanadier aber auch Polen, Tschechen und Deutsche, die ab den 1810er Jahren hier siedelten. Familienforschung steht hier hoch im Kurs. Wir bekommen aber auch die Geschichte des berühmten Christmas Tree Ship zu hören, Fundstücke wie den Ketchup haben wir schon gesehen, jetzt halten wir einen Stamm eines Weihnachtsbaumes aus dem Jahre 1912 in unseren Händen. Wie kalt es am Grund des Sees ist? Nun, so kalt, dass die Weihnachtsbäume am Grund des Sees im Frachtraum noch alle Nadeln tragen. Oh, da ist doch tatsächlich jemand eingenickt. Unser Guide hat aber auch eine Erzählstimme für Gute Nacht Geschichten.  

Zurück in der Schule heißt es auf in die letzte Stunde und dann endet auch dieser (Schul)Tag.  

Der Freitag hält einen besonderen Tag bereit, den Mountain Man Day beim Maribel Sportsman Club. Dieser Tag findet sich auch im Schuljahresplan zahlreicher Grundschulen und Mittelschulen hier, wenn es inhaltlich um die Zeit der Siedler geht. Aufgrund von Krankheit kommt der Teil mit dem Holz- und Feuermachen etwas kurz, aber die Männer und Frauen vom Club kümmern sich wieder ganz ausführlich um uns. So kommen wir dazu unter 1:1 Betreuung Dinge zu tun die wir bei uns nicht könnten, wie beispielsweise Bogenschießen oder Tomahawk werfen. Und grade beim Bogenschießen zeigen sich einige sehr talentiert und überlegen, ob sie nicht mal in Seligenstadt beim Bogenschießverein vorbeischauen sollten. Aber Konzentration, eine ruhige Hand und ein scharfes Auge liegen nicht jedem. Das es auch ohne Augenlicht geht beweist uns Bob Schuh in einer Demonstration. Der durch einen Unfall erblindete “Chef” des Clubs zeigt, dass auch Blinde noch ein weit entferntes Ziel treffen können. Das er auch offiziell im Bundesstaat jagen darf finde ich im Zuge der Inklusion ja gut, aber auf der anderen Seite hätte ich ein wenig Sorge durch den Wald zu laufen. War der Morgen noch extrem nebelig gewesen (Sichtweite unter 10m) haben wir jetzt strahlend blauen Himmel und Sonne satt. Ein schöner Tag zu dem meine Hostmum ♥ mit einer deftigen Mittagsverpflegung beiträgt. Bei den Unseren kommen die traditionellen gebackenen Bohnen zwar nicht so an, dafür aber bei allen Helfern. Bei den Brownies, die sie am Morgen gebacken hat, sind sich aber alle einig, und die Brownies leer. 
Zurück in der Schule heißt es “auf in die letzten Stunden” und dann ab ins Wochenende mit den Gastfamilien. 

Mit leuchtenden Augen berichten die Schüler von ihren Aktivitäten am Wochenende und den Erlebnissen mit den Gastfamilien. Shoppingtouren, Lagerfeuer, Homecomming Ball mit dem Gastbruder in Green Bay, Freizeitpark, Herbstwanderung im Indian Summer, Erschreckerin in einem “Haunted House”, die Geschichten und Eindrücke sind so vielseitig. Ich hoffe, sie alle tragen diese schönen Erinnerungen lange in ihren Herzen! Das auch an der Lincoln die Homecomming Week begonnen hat war schon von weitem an der überwuchernden Klopapierdeko zu erkennen. Ob auch von unseren welche von der Polizei dabei Hops genommen wurden? Wer weiß… 

Mit einem richtig klassischen amerikanischen Schulbus machen wir uns auf den Weg zu unserem Tagesziel: Madison. Woran zu erkennen ist, dass Hr. Horvath, Mr. Glandt und ich die Tour nicht zum ersten Mal machen? Wir haben Kopfkissen und was zur Beschäftigung dabei. Sitzkomfort ist ein Wort, welches das Gegenteil von einer Fahrt im Schulbus bedeutet. Wir sind kaum gestartet, da machen wir schon Bekanntschaft mit meinem Lieblingsgesetz in Wisconsin: “346.45, Stats. WI Legislative”. Flaches Land, meilenweite Sicht, der Schulbus muss vor dem Bahnübergang vollständig anhalten, die Tür öffnen hinausschauen und erst danach darf er weiterfahren. Trotz dieser ständigen Unterbrechungen erreichen wir Madison und somit die Landeshauptstadt. Über allem thront das State Capitol, ein imposantes Gebäude, welches mit seiner 85m hohen Kuppel dem US Capitol in Washington DC zum Verwechseln ähnlich ist. Nur dieses hier ist minimal niedriger und auf der Spitze scheint seit 1914 die goldene Verkörperung Lady Wisconsin mit dem Badger auf dem Kopf in der Sonne. Ohne jegliche Sicherheitskontrolle gelangen wir in den Regierungssitz des Bundesstaates. In der Mitte des Gebäudes und der beeindruckenden Kuppel treffen wir auf eine lautstarke Gruppe und eine wuselige. Wer davon jetzt die Grundschulklasse ist und welche die Schüleraustauschgruppe aus Heidelberg lassen wir mal offen. Wir sind es jedenfalls nicht. 
Unser Tourguide geleitet uns durch das eindrucksvolle Gebäude, welches auf eine über 100-jährige Geschichte zurückblicken kann. Errichtet mit Marmor aus den unterschiedlichsten Ländern der Erde, zahllosen Gemälden und ausgeprägtem Dekor kann man an jeder Ecke etwas Neues entdecken. Ob es jetzt der fossile Seestern auf einer Treppenstufe ist oder ein Badger (Dachs) der sich irgendwo versteckt. In der Galerie finden sich zwei Marmor-Suchbilder, wer erkennt, was darin zu entdecken ist möge sich melden – die ersten drei gewinnen ein paar US – Süßigkeiten. 

Wir bekommen den Konferenzraum des Governor zu sehen, den Supreme Court (das höchste Gericht) sowie die Tagungsräume beider Kammern der Gesetzgebung im Bundesstaat. Jeder Raum ist anders und beeindruckt anders und zu guter Letzt steigen wir auf das “Observation Deck”. Von hieraus haben wir einen tollen Ausblick über Madison und den angrenzenden See. Da sich das Capitol am höchsten Punkt befindet und aufgrund eines Landesgesetzes im Umkreis von einer Meile kein höheres Gebäude stehen darf verbaut nichts die Aussicht. 

Bevor wir uns auf die lange Heimfahrt machen, stoppen wir an einer Mall zum Mittagesse. Mehr können unsere auch dort nicht tun, den Mr. Wichtig vom Sicherheitsdienst verbietet ihnen das Betreten von Geschäften. Unter 18 Jahren und vor 16 Uhr nur in Begleitung Erwachsener. Warum unsere nichts dürfen, aber die unangenehm lärmende Gruppe von Highschoolschülern unbehelligt bleibt? Ein Rätsel. Aber wenn Mr. Wichtig nicht schaut, können auch unsere in die Shops zum Einkaufen. 
Eine lange Fahrt später sind wir wieder in Manitowoc und machen ein letztes Bild vor dem Schulbus. Quizfrage: Auf welchem der Bilder hat sich ein Fehler eingeschlichen? 

Genug für heute