Wisconsin / Illinois – Here we are 5

Der Himmel vor dem Fenster ist strahlend blau als wir den Vorhang öffnen, die besten Voraussetzungen für einen Tag in Chicago! Beim Frühstücken im Hostel treffen wir vereinzelt und in kleinen Grüppchen die Unseren. Einige sehen sogar tatsächlich so aus, als hätten sie ein paar Stunden Schlaf abbekommen, nachdem wir gestern über 14km ZU FUß zurückgelegt haben. So starte ich pünktlich, wie besprochen um 9.45 Uhr. Überschaubare Gruppe, wir sind mit mir vier. Der Rest hängt wohl noch im W-LAN fest. Eine Kreuzung später haben sie uns eingeholt. 

Vor dem strahlend blauen Himmel ist die Skyline gleich nochmal anders beeindruckend als bei Nacht oder vor den Wolken. Die Kontraste sind einfach schärfer, die Scheiben und Fassaden spiegeln anders. Ein super Tag für eine Stadttour. An den bereits bekannten Faces of Chicago vorbei wollen wir zum Cloudgate, im Volksmund die Bohne genannt. Leider sind die umgebenden Zäune doch nicht nur die Reste vom Chicago Marathon am WE, sondern eine Baustellenabsperrung. Rund um das Cloudgate arbeiten Presslufthammer und Bagger, so können wir das beliebte Fotomotiv nur durch den Zaun und auf Bildern sehen. Sehr schade. So streifen wir direkt weiter durch den Millennium Park, vorbei am Harris Theater, einem futuristisch wirkenden Bau mit Bühne für Musik und Theater. Die Brücke, die wir nehmen erinnert an eine Schlange mit silbernen Schuppen, die sich über die Landschaft windet und uns hilft die andere Seite des Parks zu erreichen. Hier gelangen wir zu einem Spielareal, welches in Deutschland als städtischer Park oder Spielplatz seines Gleichen nicht finden würde. Sagen wir mal so, Spaß ist was man daraus macht, einige haben Spaß andere hocken schon wieder rum und starren schräg nach unten. 

Zum vereinbarten Zeitpunkt laufen wir weiter, immerhin sind wir dieses Mal sechs von insgesamt 16. Wie streifen durch die tolle Parkanlage, vorbei an den Teletubbie Hügeln, Mobby Dick und pseudogriechischen Säulen. Wir schlängeln uns durch die Straße, Treppen hoch, Treppen runter, geradeaus, über die Brücke, geradeaus und biegen dann einmal ab und dann sind wir nur noch zu 6. Wie man auf einer graden Strecke von der Brücke bis hier verloren gehen kann ist mir ein Rätsel. Aber irgendwann trifft auch der restliche Teil am Bootsanleger an. Eile wäre nicht nötig gewesen, weil Corona auch hier deutliche Schäden hinterlassen hat. Die einstmals so brummende Bootszentrale gibt es nicht mehr, sie wurde durch einen Schirm mit Klapptisch ersetzt. Drückten sich sonst schon 60 Leute dort rum um Ticketfragen usw. Zu klären sind wir alleine mit den Mitarbeitern. 

 Als wir ablegen ist das Boot zu 1/3 gefüllt, früher war es schwer für alle einen Sitzplatz zu finden. Al unser Tourguide hatte uns vorher im Gespräch kurz erzählt, dass die Touren jetzt erst sehr langsam beginnen sich zu erholen. 90 Minuten Bootsfahrt und Al spricht quasi ohne Luft zu holen und einigen ist anzumerken, dass das Zuhören doch sehr schwierig ist. Manchen ist es sogar sehr offensichtlich anzusehen. Auf dem Chicago River erfahren wir unglaublich viel zur Geschichte der Stadt und ihrer Architektur, aber auch zu den Geschichten hinter den Gebäuden. Warum bspw. Der Trump Tower nur halb so groß ist wie ursprünglich geplant und genehmigt, aber trotzdem noch das zweithöchste Gebäude der Stadt ist. Aber auch warum Rollschuhe Dienstbekleidung sein konnten und warum es in Chicago das größte Postamt des gesamten amerikanischen Kontinents gab.  

Vor dem blauen Himmel zeigen sich die Bauwerke von ihrer ganz besonderen Seite und bieten eine beeindruckende Kulisse für Fotos. Oder auch für Selfies. Es ist schon beeindruckend, wie lange man sich damit befassen kann, und ich spreche hier nicht von unseren, sondern von einer anderen jungen Dame. 

Nach unserer Ankunft an Land geht es zum Navy Pier. Hier teilen wir uns auf, ein Teil möchte mit dem Kollegen noch einmal in Richtung der Kaufhäuser ziehen, andere bevorzugen schlendern und schauen mit mir. Wir erkunden den Navy Pier und betrachten die Wolkenkrater vom See aus, besuchen einen der Strände und andere Aussichtspunkte. Später schlängeln wir uns durch die Straßen, erkunden die Nebenstraßen, entdecken verstörende Süßwaren im ehemaligen Disneystore und gelangen dann irgendwann, ein wenig zu früh zum Hardrock Café. Shopping! Zahlreiche Shirts und Hoodies später sitzen wir an den Tischen und geben unsere Bestellungen auf. Ob es die letzten Burger in den USA sind wird erst der morgige Tag zeigen, aber sie sind sicher besser als alles, was es am Flughafen gibt. Im Regen geht es zurück ins Hostel zum Packen, Koffer wiegen und Gewicht umverteilen. Rekordhalter ist einer der Herren, sein Koffer wiegt lediglich 12kg. Die Stimmung ist ausgelassen und eigentlich ist es schade, dass bald schon wieder alles ein Ende hat. Für diesen Tag bin ich platt, rum 18,5km zu Fuß haben wir heute bewältigt. 

Vor dem Fenster zeigt sich ein grauer Himmel und es ist nass, so fällt der anstehende Abschied nicht schwer. Einigen verschlafende Gesichter begegnen uns beim Frühstück, ein paar hatten sich zum Ziel gesetzt so wenig wie möglich zu schlafen, um es im Flieger zu tun. Schauen wir mal. 

Vollbepackt mit Taschen, Koffern, Tüten, Rucksäcken und Brustbeuteln verlassen wir das Hostel und bewegen uns durch den Regen in Richtung der Metro Haltestelle. Der Regen prasselt auf uns und unser Gepäck, eine Schülerin versucht einen Salto über ihren Koffer zu machen. Ein Traum, aber kein schöner. Dinge die sich nicht ändern: Der Kampf mit dem Fahrkartenautomaten. Irgendwann siegen wir und können die Tickets lösen und alle quetschen sich durch die enge Absperrung, samt Gepäck. Ich bin der letzte und mich lässt der Wachmann durch das Tor neben der Absperrung. 

Erfreulicherweise sind der Bahnsteig und die ankommende Bahn so leer, dass wir alle direkt in die Bahn gelangen. Ein wenig Gepäcktetris später ist alles verstaut und alle sitzen. Während die blue Line in Richtung Flughafen ruckelt, schlafen die ersten ein. Der Plan, mit dem im Flieger schlafen geht also voll auf. Die Fahrt ist das Ereignisloseste, was ich seit langem erlebt habe und bis zum Flughafen herrscht ziemliche Stille.  

Mit eilendem Schritt und wehender Jacke wetzt der Kollege durch den Flughafen und wir immer hinter ihm her. So stehen wir ganz schnell an einem Schalter, um unser Gepäck abzugeben. Der Kollege ist der erste, hat 500g Gewicht zu viel und muss tatsächlich etwas aus dem Koffer nehmen. Das kann ja heiter werden. Aber bei keinem anderen Gepäckstück wiederholt sich dies. 

Vier Stunden vor Beginn des Boardings sind wir durch die Sicherheitskontrolle, das geht in Frankfurt zügiger und besser koordiniert. Nachdem wir uns danach quasi wieder vollständig angezogen haben, sind alle da, aber einer der Jungs um einen Magneten ärmer. Die Logik versteht keiner, zumal im ersten Shop nach der Sicherheitskontrolle wieder Magneten verkauft werden.  

Nach ewigem gammeln am Gate, den letzten Burgern auf US-Boden und dem Kampf gegen die Müdigkeit kommen wir an Bord und sitzen auch bald. Der vorangegangene Tauschhandel mit Sitzplätzen war noch viel anstrengender als der neue Sitzplan für meine Klasse. Hui… Aber es klappt, wir sitzen, schlafen, lesen oder essen bis wir sehr früh in Frankfurt landen. Zack, zack ist das Gepäck da (manches mit nachhaltigen optischen Mängeln) und wir sitzen im Taxi und fahren in Richtung Schule. 40 Minuten früher als geplant sind wir an der Schule und wir übergeben die Unseren zurück an ihre Eltern. Es ist geschafft. Vor 14 Stunden und 16 Minuten sind wir am Hostel aufgebrochen und jetzt sind alle wohlbehalten wieder daheim. 

Einige Eltern bedanken sich ausgiebig dafür, dass wir ihren Kindern dieses unvergleichliche Erlebnis ermöglicht haben. Diesen Dank müssen wir ein Stück weit zurückgeben.  
Liebe Eltern sie haben uns ihre Kinder für diese Reise anvertraut! Danke für Ihr Vertrauen und die tollen Menschen die wir mitnehmen durften! 

An die Unseren: Ihr wart die problemloste Gruppe, die wir je hatten! Wenn ihr auch nicht so eng miteinander wie andere Gruppen wart, so habt ihr es uns doch echt einfach gemacht. Danke dafür! (Auch wenn ich froh bin, nicht mehr ständig “Digger” zu hören oder einige nur am Handy zu sehen) 

An Schulleitung und Kollegen: Ohne euch könnten wir dieses Abenteuer nicht in Angriff nehmen. Danke für die Unterstützung, die Vertretungen und alles, was uns bei der Durchführung hilft! 

An meinen Kollegen Tibor: Du hast es schon gesagt “Never change a winning Team!” Danke, dass wir seit 12 Jahren so reibungslos für den Schüleraustausch zusammenarbeiten, uns ergänzen und uns auch gegenseitig “aushalten”. 

Zum Abschluss: 

Lieber Chris, du bist die Seele des Austausches. Vor genau 30 Jahren kam die erste Gruppe aus Seligenstadt und jetzt sieht es so aus, als wäre es die letzte Gruppe gewesen, die du mit betreut hast. Vielleicht gibt es einen Nachfolger für dich, aber ersetzen kann dich keiner! Für die mehreren Hundert Schüler die dank dir einen Austausch erleben durften: Danke für alles!