Wisconsin – Here we are! – Part 4

Es ist ein kalter, aber klarer Montagmorgen als wir uns der Lincoln nähern, der Turm hebt sich klar gegen einen strahlend blauen Himmel ab. Langsam vertreibt die Sonne den Frost vom Gras, aber der Wind ist schneiden kalt so nah am See. Wir nutzen die Überpünktlichkeit der Unseren aus und machen ein Gruppenbild mit Lincoln und dem 100 Jahre alten Turm. Dann machen wir etwas Untypisches für die USA: Wir laufen. Einige der Unseren die vor uns laufen biegen automatisch auf den Parkplatz, wo immer unser Bus stand. Wer zuhören kann ist klar im Vorteil. 

Wir laufen in Richtung Zentrum, vorbei an typischen US-Kleinstadthäusern wie wir sie alle aus Filmen kennen. Nach ein paar Blocks erhebt sich zu unserer Linken ein Betonklotz mit grün verblendeten Fensterschlitzen. Das Manitowoc County Sheriffs Department. Am Eingang werden wir von einer Mitarbeiterin in Empfang genommen, der Sheriff selbst hat leider keine Zeit für uns, weil er in die wöchentliche Radioshow muss. Aber er nimmt sich kurz die Zeit, um mit einem unserer Schüler Abzeichen auszutauschen, beide sichtlich erfreut.  
Unser Weg führt uns durch die unterschiedlichen Bereiche des Hauses. Wir beginnen bei der erkennungsdienstlichen Erfassung. Da hier auch angeschlossen eine Art Untersuchungshaftanstalt sowie das örtliche Gefängnis wird hier gründlich überprüft, bevor es den orangenen Overall gibt. Wir dürfen in eine Übergangszelle, aber auch in einen Rubberroom für Inhaftierte die ggf. Versuchen würden sich an den Wänden zu verletzen. Mit dem Aufzug kommen wir auf eine Gefangenenebene und bekommen im Kontrollraum einen Überblick über den Aufbau einer solchen Einrichtung, aber auch der Sicherheitsmaßnahmen. Schnell sind sich einige der Unseren einig, hier ist es echt öde im Knast. Durch die Fenster bekommen wir einzelne Inhaftierte zu sehen und erfahren, was ein “Trusty” ist: Gefangene in Weiß, denen man minimal mehr traut, sie dürfen bspw. Arbeiten verrichten. 

In der Gefängnisküche erfahren wir wie wichtig zählen ist, warum manche Häftlinge nur Geschirr aus Silikon erhalten und wieso selbst Löffel in einem Käfig eingeschlossen sind. Wir dürfen sogar Knastessen testen, die frisch gebackenen Cockies sind wirklich lecker. Als wir schon wieder die Küche verlassen taucht eine weitere Mitarbeiterin der Küche auf, sie erkennt den Kollegen sofort. Sie und ihre Familie waren Gastfamilie bei unserem ersten Austausch 2011. 

Im Hof dürfen wir ein gepanzertes Einsatzfahrzeug und einen Sherrifswagen erkunden, und vorne wie hinten probesitzen. Nach zahlreichen Gruppenbildern, Selfies und sonstigen Bildern noch einen kurzen Abstecher in die Telefonzentrale. Hier gehen alle Anrufe des Countys bzgl. Polizei, Feuerwehr, Krankenwagen, Unwetter und sonstigen Katastrophen ein. Hier ist es Mr. Glandt der mit einem lauten Freudenschrei von einer ehemaligen Schülerin erkannt wird.  

Weiter geht unser Weg durch die Stadt. An einzelnen Stellen können wir deutliche Spuren der großen deutschsprachigen Gemeinschaft finden, die in früheren Jahren in der Stadt lebte. Die “Ev. lutherische Kirche” oder der ”deutsche Turnverein” sind Beispiele hierfür. Durch das Kleinstadtpanorama mit seinen kleinen Läden und Häusern die alle so zwischen 1870 und 1930 gebaut worden sind gelandet wir zum Hafen. Hier befindet sich das Maritime Museum mit vielen Exponaten rund um Schifffahrt, Seehandel und Wracks, aber eben auch die USS Cobia und “besonders wichtig” ein gutes WLAN. 

In Kleingruppen und mit Abstand machen wir uns auf die Tour durch das U-Boot. Waren es früher geführte Touren erhält man inzwischen nur noch ein Tablet mit Audioeinspielern. Nicht immer ist der technische Fortschritt auch ein Gewinn. Drückende Enge, Hitze, fehlende Privatsphäre und insbesondere der Geruch auf einem solchen U-Boot lassen sich nur erahnen. Auf neun Wochen Fahrt vielleicht zwei duschen und dabei gleich am Körper die Klamotten waschen? Gut, so riecht es bei uns manchmal auch in der Schule. 

Wieder am Tageslicht und im W-LAN tauchen viele direkt in die digitale Welt ab, andere in das Museum und bekommen so tiefere Einblicke. Beispielsweise in eine Ausstellung mit Unterwasserbildern von Schiffswracks die im eisigen Wasser perfekt konserviert sind. Der Rückweg führt uns erst einmal an der Lincoln vorbei in einen typischen Diner zum Mittagessen. Auch das ist eine Erfahrung, die man in den USA mal mitgenommen haben sollte. Jetzt brechen dann die letzten Stunden an der Lincoln an und dann kommen die letzten Stunden mit den Gastfamilien.   

Der Tag der Abreise. Voll bepackt mit Taschen und Koffern sammeln sich die Familien mit ihren Gästen. Letzte Einzel- und Gruppenbilder, verstohlenen und offene Tränen, feucht schimmernde Augen. Auch der amerikanische Kollege hat eine belegte Stimme als er sagt ”ach, es war schon immer eine tolle Zeit”. Vor 30 Jahren hatte er die ersten Seligenstädter bei sich an der Lincoln, diese Gruppe jetzt wird wohl seine letzte gewesen sein.  

Gute drei Stunden später sind wir am Hostel in Chicago, verstauen unser Gepäck und beginnen die Stadt zu erkunden. Durch die Häuserschluchten streift der Wind, die Sonne scheint, Chicago zeigt sich von seiner besten Seite als wir durch die Straßen laufen. Vorbei an den “Faces of Chicago” (Wasserwürfel mit Gesichtsprojektionen) wollen wir zum Hancock Tower. Da geraten wir doch tatsächlich in ein blutiges Verbrechen. Ein Raubvogel hat im Flug eine Taube gepackt, nimmt sie in den Sturzflug, um sie mit lautem Aufprall und fliegenden Federn gegen ein Schild knallen zu lassen. Ob der Mittagssnack dann noch abgeholt wurde, entzieht sich meiner Kenntnis. 

Der vor Elan sprühende, motivierte, freundliche und überaus deutlich sprechende und kompetente Mitarbeiter kostet uns nur eine halbe Stunde bis wir endlich unsere Tickets für den Tower haben. Bei Servicewüste ist sicher inzwischen sein Portraitbild zu finden.  
Mit enormer Geschwindigkeit rast der Fahrstuhl in den 94 Stock zum Observationdeck und belohnt uns mit einem phänomenalen Ausblick über die Stadt und den Lake Michigan. Alles wirkt so klein und winzig. Mit den Augen kann man hier Bilder festhalten, die ein Handybild nur erahnen lässt. Da es aber auch hier WLAN gibt scheint bei einigen direkt die Aufmerksamkeit verlagert. Zahlreiche Bilder später geht es wieder hinab und wir entlassen die Unseren in Kleingruppen zum Shoppen und Abendessen. Das Shoppingerlebnis ist arg geschrumpft müssen auch der Kollege und ich schnell merken. Viele Läden haben Corona nicht überstanden und so sind selbst große Namen wie Macys und Disney von der Magnificant Mile verschwunden.  Dennoch finden ein paar etwas stellen wir fest, als wir uns später treffen. Victoria hat noch immer Geheimnisse und für Äpfel gibt es Zubehör… Die Sonne taucht die Stadt in ein goldenes Licht als wir in Richtung Hostel laufen. Unterwegs schauen wir noch, ob wir den Mondstein am Tribune Tower finden. Ich entdecke ihn nicht. Aber dafür wieder jede Menge Steine aus den berühmtesten Bauwerken der Welt, allerdings fehlt die Basilika Seligenstadt.  

Im Hostel beziehen wir unsere Zimmer und kommen langsam an. Die Stimmung der Unseren scheint sehr gut und zum ersten Mal erlebe ich, dass jemand in der Küche der Zimmer wirklich etwas zu essen Macht. Ein Mikrowellen-Tomaten-Morzarella-Brötchen, sicher ein Geschmackserlebnis. Nach Einbruch der Dunkelheit biete ich an mit den Schülern zur Buckingham Fountain zu gehen und es kommen alle mit. Hinter dem Lichterspiel des Brunnens mit der Musikuntermalung hat man einen grandiosen Blick auf die Skyline. Die optimale Kulisse für zig Bilder und Selfies, aber auch für sportliches Wettrennen um den Brunnen. Nach 75 Sekunden kommt ein vollkommen erschöpfter Schüler an, der andere ist nach 3 Minuten noch immer nicht da. Er ist fertig und japst nach Luft.  

Während wir nochmal an das Seeufer gehen, kommen wir ins Schwätzen und es gibt ein paar wirklich schöne Gespräche mit den Unseren. Einer der schönen Momente unseres Berufes und einer solchen Fahrt, es besteht die Chance sich mal in entspannter Atmosphäre unverkrampft zu unterhalten. Ich erfahre ein paar spannende Dinge, aber auch Sachen, die ich lieber nicht wüsste. Ich weiß, wer Mrs. Gossip ist und wer die meisten Selfies macht. Ein ereignisreicher Tag, aber jetzt muss ich die Füße hochlegen und die Augen schließen, ich bin durch für heute.